Interview mit Albert Merz

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Interview Albert Merz

 

Bis zu meinem 30. Lebensjahr war ich Lehrer. Damals war ich noch verheiratet. Bei der Trennung entstand das Bedürfnis, etwas anderes zu machen. Früher habe ich viel geschrieben. Ich habe mich für ein Jahr beurlauben lassen, um in München Theatererfahrungen zu sammeln. Ich wollte Theaterschriftsteller werden. Das war 1968/69. Die Theaterfakultät an der Uni war geschlossen. Ich habe dann in Schwabing im "Modernen Theater" in einem Arrabal-Stück assistiert. Aber Ende des Jahres habe ich gefühlt und gewusst, dass die Theaterschreiberei nichts für mich war. Ich ging zurück in die Schule. Dann kam die Scheidung und mit ihr meine grosse Lebenskrise. Und so stiess ich auf die Bildende Kunst. Das war eine selbsterhaltungs-therapeutische Geschichte, um mich neu zu sehen, mich zu fragen, was ich eigentlich will. Ich habe in Luzern Kunstpädagogik studiert. Ich wollte gar nicht Künstler werden. Ich wollte einfach künstlerisch tätig sein im musischen Vermittlungsbereich. Anschliessend habe ich drei Jahre unterrichtet, bis ich gemerkt habe, dass ich trotzdem Kunst machen möchte. Erst dann und erst sehr spät bin ich zu diesem Entschluss gekommen. Ich vertrat die Einsicht, dass man nicht beides machen kann. Entweder man vermittelt Kunst oder man macht sie. Meine Kommilitonen wollten immer beides unter einen Hut bringen. Das habe ich abgelehnt, weil beides volles Engagement verlangt. Und dann, als das für mich erledigt war, als ich gemerkt habe, dass ich genug hergegeben habe für andere, wollte ich "etwas" für mich selber holen. Da kam die Idee, dass ich irgendwohin fahren will. Rom war eine Idee, und hätte damals sehr gut zu meiner Arbeit gepasst. Es war das Südliche, das Warme, das Erotische. Ich hatte damals ein paar Freunde, die nach Berlin gegangen sind. Und da ich mich entschlossen hatte, ernsthaft zu arbeiten, fuhr ich in den ernsthaften Norden und nicht in den sinnenfreudigen Süden. Ich habe gespürt, dass ich das in der Schweiz nicht hinkriege. Es kam mir alles zu klein und zu begrenzt vor. Und Berlin war dann wirklich die Stadt, die große Stadt.

Kanntest du schon früher Berlin?

Also, ich kam mit der Freundin nach Berlin, um ganz einfach zu gucken. Sie wollte im Theater arbeiten und blieb. So habe ich Berlin kennen gelernt. Die Schweiz hatte damals kein echt professionelles, sprich akademisches Kunststudium. Das lief alles über Kunstpädagogen- oder Grafikerausbildungen. Und ich wollte es einfach noch mal wissen, ich wollte an die Kunstakademie gehen, aber nicht nochmals in den Grundkurs. Ich wollte in eine freie Klasse einsteigen und wieder eine Auseinandersetzung haben. Damals war ich 38.

38?

38. Ich bin ein absoluter Spätzünder, wirklich ein Spätzünder. Ich bin also mit meiner Mappe angereist, und habe mich einem Professor vorgestellt. Das war mehr oder weniger Zufall. Ich hatte drei Professoren im Blick. Zwei waren nicht da, einer war da und ihm hat es gefallen.

Wie hieß er?

Hirsig. Horst Hirsig. Er sagte: "Gut, wenn du die Prüfung schaffst, kannst du in meine Klasse kommen“. Ich habe mich für die Aufnahmeprüfung beworben, mit den andern 400, wurde später mit 40 andern zur Prüfung zugelassen. Beim Interview waren sie mehr oder weniger erstaunt, dass ein 38-jähriger dastand und haben mich entsprechend auch befragt. Ich habe gesagt, dass ich einfach noch eine professionelle Ausbildung haben wolle. Sie gaben mir ein Jahr in der Fachklasse.

Sie wollten dich ganz einfach überprüfen.

Das war eine Art Test, ob ich das ernst meine. Und das Jahr war schnell vergangen. Die Klasse war eigentlich eine Enttäuschung. Niemand wollte die Auseinandersetzung. Jeder wollte nur für sich alleine arbeiten. Der Professor hingegen war ein guter Pädagoge. Und nach diesem Jahr habe ich mir gesagt, ich möchte das vertiefen, ich will das noch zu Ende bringen. Aber um das Studium fortzusetzen, musste ich die Aufnahmeprüfung nochmals machen.

Obwohl du diese schon bestanden hast?

Ja. Sie haben mir die praktische Prüfung erlassen, ich musste nur die Mappe abgeben mit den Arbeiten, die ich während des Jahres gemacht hatte. Ich habe die Prüfung wieder bestanden, wieder Interview und dann setzten Sie mich ins elfte Semester - was eigentlich das Meisterschülerjahr bedeutete. Das zwölfte ist das allerletzte Semester . Danach muss man gehen, keine Möglichkeit mehr zu bleiben. Ich ging zur Rechtsberatung und habe gefragt, ob das rechtens sei. Sie meinten aber, der Professor und ich könnten bestimmen, in welchem Semester ich sei. So wurde ich regulärer Student im achten Semester.

War das trotzdem hilfreich für dich? Hast du damit etwas gewonnen?

Ja, ja, habe ich. Es war erst mal die Erfahrung, mich als Student hier anzusiedeln. Ich war ein Ausländer, die ganzen Versicherungen, Aufenthaltserlaubnis und so weiter ist ja immer ein Problem für Ausländer. Mit dem Studentsein lief es eigentlich reibungslos. Und dann hatte ich so einen geschützten Rahmen in der Schule. Ich bekam ein Hochschulstipendium aus der Schweiz, und mit den Ersparnissen habe ich überlebt, dann aber ziemlich schnell auch eine Galerie gefunden.

Die dich ausgestellt hat.

Genau. Bei der bin ich auch heute noch.

Wie heißt diese Galerie?

Die hieß früher "Lietzow" und heute "Hartmann und Noé“. Ich habe viel gelernt an der Schule, auch Technik. Ich besuchte die Werkstätten. Ich habe das Maximum profitieren wollen. Nur von der Klasse habe ich mehr erwartet, eben Auseinandersetzung.

Man sagt oft, dass man in den heutigen Kunsthochschulen, in den freien Klassen nicht die traditionelle Technik lernt. Man hat dann keine Grundlagen für Zeichnen oder Malen. Man sagt, dass dort jeder macht, was er will und dann fehlt den Leuten die Basis.

Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht, weil ich motiviert war. Ich habe mir alles selber geholt. Denn das Angebot war da z.B. Aktzeichnen. Ich bin dort oft hingegangen, bis zum Exzess. Die ganzen technischen Werkstätten standen zur Verfügung. Ich habe gelernt Ölfarbe anzureiben usw. . Die Uni macht Angebote, und du kannst holen, was du willst. Und ich war eben nicht mehr 20. Ich war bescheiden und motiviert. Ich habe Siebdruck gelernt, ich habe meine Radiertechnik verfeinert. Ich sass in den spannenden Kunstgeschichtsvorlesungen. Ich habe wirklich viel profitiert.

Ich möchte noch zurück zu dieser Entscheidung, die du schon angesprochen hast, diese Wahl zwischen Berlin und Rom. Gab es noch andere Alternativen für dich?

Nein, das war für mich ganz klar, Süd oder Nord. Es war für mich auch klar, wenn Süden, dann kam nur Rom in Frage. Die Kunsthochschule in Rom war nicht das, was ich wollte. Das hat damals nicht gestimmt für mich. Ich täusche mich vielleicht, aber ich glaube nicht, dass mich das weiter gebracht hätte. Ich war später in Rom, im Istituto Svizzera. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich schon gefestigter, und wusste, was ich wollte. Ich habe dort nicht nur das Leben genossen, sondern auch gearbeitet wie ein Verrückter. Dort hat mich Rom sehr inspiriert. Um weiter zu kommen, brauchte ich 1980 das Deutsche, Straffe und Geordnete.

Du hast gesagt, dass in der Zeit als du noch in der Schweiz als Lehrer gearbeitet hast, hattest du das Gefühl, dass dich das nicht weiter bringt. Woran liegt das?

Also, etwas arrogant gesagt, fehlten mir die Kollegen, die mich hätten inspirieren und anregen können. Ich spürte, dass ich mich ein im Kreis bewegte. Und das wollte ich aufbrechen. Ich hätte Anstösse von aussen gebraucht.

Wo war das?


In Zug. Das liegt zwischen Zürich und Luzern. Und geboren bin ich in Unterägeri. Das ist ein kleines Kaff neben Zug. Damals, als ich dort wohnte, zählte es vielleicht zweitausend Seelen. Wirklich schön und idyllisch. Ich bin froh, dass ich dort geboren bin. Davon profitiere ich heute noch. Du weißt, meine Wurzeln verleugne ich nicht, aber ich wollte etwas machen draus, aus der Basis, die ich habe.

Dich störte diese Atmosphäre dort oder der Mangel an Künstlern.

Mangel an Biss, an Kreativität, Außerordentlichkeit. Das ist alles so harmlos dort. Weißt du, das waren alles Künstler, die über den Grafiker- oder Kunstpädagogenberuf Künstler geworden sind. Genau die Karriere, die ich auch eingeschlagen habe. Das war meine Generation, die nicht direkt Kunst studieren konnte in der Schweiz. Heute sieht alles anders aus. Heute gibt es ein ernsthaftes Kunststudium auch in der Schweiz. Weißt du, das war eben mein persönlicher Weg. Das heißt nicht unbedingt, dass man das Land verlassen muss, um gute Kunst zu machen.

Man kann das nicht so verallgemeinern.

Nein, das muss jeder für sich selber entscheiden.

Was mich interessiert ist die Mentalität, die man selber hat und die Anpassung dieser Mentalität an die Umstände im Wahlland. Wenn man als Schweizer in ein chaotisches Land fährt, kann sein, dass das alles fremd für jemanden wird.

Aber es ist effektiv das, was ich gesucht habe. Das Fremde. Deutschland ist auch für einen Schweizer fremd. Obwohl wir alle Deutsch reden, in der Schule Deutsch gelernt haben, schreiben und sprechen, usw. Frankreich wäre noch eine andere Geschichte und Italien. Ich wollte ins Exil, ins selbst gewählte Exil. Ich wollte fremd sein.

Hast du dich hier fremd gefühlt?

Ja, als Ausländer. Ich fühle mich immer noch als Ausländer.

Fühlst du dich wohl hier in Berlin oder in der Schweiz?

Ich fühle mich in Berlin zu Hause. Berlin ist für mich ein Stück Heimat geworden. Ich identifiziere mich zu einem Teil auch mit Berlin. Berlin ist meine Stadt geworden. Ich lebe schon 22 Jahre hier.

War das für dich nie eine Frage zurück in die Schweiz zu fahren?

Nie. Ich fahre oft in die Schweiz, weil ich dort noch Verwandte und Freunde habe, Eltern, aber auch viele Ausstellungen. Ich hasse die Schweiz nicht. Ich habe kein Problem mit der Schweiz und mit meinem eigenen Schweizertum. Klar, man schaut kritischer hin. Ich möchte aber trotzdem lieber hier sein. Was man im Alter macht, das ist eine andere Geschichte.

Und die Sehnsucht nach den Landschaften?


Die habe ich nicht gespürt. Und die spüre ich in Berlin auch nicht. Ich bin sehr urban geworden. Ich kann in Städten sogar sehr gut Urlaub machen. Kein Problem. Die Stadt gefällt mir als Gebilde schon sehr. Ich bin immer wieder fasziniert von Städten, auch von der Idee, wie so was überhaupt funktionieren kann. Es ist ein ganz bizarres Gebilde, die Stadt. Es ist künstlich und unnatürlich. Aber genau das gefällt mir irgendwo.

Du warst auch ein Jahr in London?

Ja, ich habe dort ein Stipendium gehabt.

Wie kannst du das z.B. mit Berlin vergleichen?

Dort war ich noch viel fremder als hier. Also, ich fühle mich hier nicht mehr fremd, hier in Deutschland, aber ich fühle mich immer noch als Ausländer. Ich fühle mich noch als Schweizer, genauer gesagt. Das schon. In London war das noch viel weiter daneben. Das war voll daneben eigentlich. Gut, Englisch spreche ich schon, aber natürlich nicht so, dass ich so daher reden kann, so wie ich mit dir rede. Und da waren wir noch in einem etwas speziellen Stadtteil untergebracht. Das war so ein bisschen Proloviertel, in Stepney, im Eastend. Und das war gar nicht so die große Stadt dort, ziemlich mickrig und miefig. Da ist eigentlich der Berliner Wedding noch großstädtischer. Aber es hat mich fasziniert. Wir haben uns ernsthaft überlegt, ob wir dort bleiben wollen oder nicht.

Hast du dich aber anders entschieden?

Wir haben uns für Berlin entschieden. Berlin ist doch mehr Heimat gewesen. Ich habe bemerkt, ich will jetzt keinen Neubeginn mehr. Ich will lieber die Energie in meine Arbeit investieren. Ich habe es genutzt, dieses Jahr, das ich dort verbracht habe. Und das hat mich auch einen ganz schönen Schritt weiter gebracht. Das schon. Aber eben, das war genau diese Situation, die ich in Berlin am Anfang hatte, wieder alleine. Also, das ausgesetzt sein. Und da hatte ich sehr viel Zeit im Atelier. Und da ist auch viel passiert. Davon profitiere ich heute noch.

Wenn ich die Frage umdrehe, hier bist du schon so viele Jahre, alles ist bekannt für dich.

Jetzt muss ich wieder gehen?

Ja.

Ja, jetzt muss ich wieder gehen. Klar, eine neue Situation inspiriert immer, weil man auf sich selber zurückgeworfen bist. Die Befragung, die Selbstbefragung ist, glaube ich, dringender, vertiefter und direkter, wenn man neu ist irgendwo. Der Spiegel hängt dann überall. Hier kann man sich immer ablenken mit irgendwas, durch eingefahrene Spuren, die man automatisch abläuft, ohne sich zu besinnen, ohne zu überlegen. Aber du hast recht, im Prinzip müsste ich eigentlich weiterziehen.

Ich habe deine Biographie gelesen. Jedes Jahr hast du so viele Ausstellungen. Neulich sagtest du auch: Diese Woche bleibe ich in Berlin, nächste Woche fahre ich wieder weg. Hast du überhaupt noch Zeit zum Malen?

Weißt du, das häuft sich manchmal so. Eine Ausstellung zu organisieren, das kostet dich drei, vier Tage. Auch wenn das fünf mal stattfindet im Jahr, so viel Zeit ist es letztendlich nicht. In der Schweiz bleibe ich meist länger, weil ich für meine Eltern sorgen muss. Das ist eine andere Geschichte. Wenn ich dann aber arbeite, arbeite ich intensiv und viel, und nicht nur an einem einzigen Bild, sondern an drei, vieren.

Gleichzeitig?

Ja. Dann geht es von einem zum anderen oder eins bringt eine Lösung für das andere. Ich will einfach auch genug Bild-Material haben, um für Ausstellungen aus der Fülle auslesen zu können. Und ich habe enorme Lust zum Arbeiten. Das macht Spaß.

Bist du mehr Maler? Ich kenne auch deine Zeichnungen.

Mehr Zeichner. Ich bin eigentlich Zeichner, der auf malerischen Gründen oder farbigen Gründen zeichnet. Ich bin kein echter Maler. Ich mache keine Peinture. Ich bin mehr vom Grafischen, Zeichnerischen her bestimmt.

Also, diese Leinwände sind deine Zeichnungen.

Das sind eigentlich riesige Zeichnungen.

Wie ist das mit deinen Grafiken? Sind das Wiederholungen von dem, was du gemalt hast oder arbeitest du auch gezielt an einer Grafik?

Früher habe ich jede Grafik an Ort und Stelle entwickelt, ganz spontan, wie ich ein Bild mache. Später habe ich angefangen Grafiken zuerst zu entwerfen. Es ist mir aber auch schon passiert, dass ich bei einer Leinwand gedacht habe, dass sie sich besonders eignet, sie in eine Grafik umzusetzen. Heute mache ich Grafik nur noch im Auftrag. Man kann sich mit zu viel Grafiken kaputt machen. Das wird leicht inflationär.

Wenn du eine große Auflage machst.

Das hier ist eine 45er Auflage. Es gibt auch gewünschte 100er Auflagen, wobei ich mich sehr dagegen sperre. Ich habe schon auf meine eigenen Kosten die Auflagenhöhe vermindert, dafür mehr Motive angeboten, zum selben Preis, nur weil ich nicht die 100er Auflage machen wollte. Aber eigentlich sind schon 50 zuviel. Man sollte eigentlich nicht über 30 gehen.

Wie ist das mit den Bildern? Planst du sie vorher, skizzierst du viel? Die wirken so frisch, sparsam.

Immer sparsamer, im Moment, ja. Aber das ist im Augenblick mein Weg. Früher habe ich nichts geplant. Weiße Leinwand, angefangen. Ich war so voll mit Emotionen und Ideen. Das lief einfach. Und klar, haben sich einige Motive wiederholt. So habe ich sie auch weiter entwickelt. Die Motive sind ja Lebensmotive. Sie haben einen Grund, warum sie bei dir sind, warum du sie zeichnen und gestalten willst. Und da ich sehr stark symbolisch arbeite, werden diese Motive mich begleiten bis sie ihre Bedeutung verloren haben für mich. Vielleicht hat sich ein Problem gelöst oder gemildert oder was anderes. Es gibt immer einen Grund dafür. Viele sind jetzt weg. Sie sind verloren gegangen, ohne dass ich es bemerkt habe. Es kann aber sein, dass sie wieder kommen. Das schließt sich nicht aus. Plötzlich kommt man in Phasen, wo plötzlich so ein Tierkopf wieder da steht, den ich lange nicht mehr gemalt habe. Früher bin ich anders an die Bilder herangegangen. Ich habe gewusst, welche Farbe ich machen will, z.B. die Grundfarbe. Oder ich wusste ein Detail. Ich wusste, da muss eine Tulpe drauf, oder ein Haus. Es kam aus der Stimmung, der Tagesstimmung heraus. Damals hatte ich auch eine Technik, die mir eben das alles erlaubt hat. Instinktiv gewählt: die Kohle. Ich habe einen Farbhintergrund gemacht, Grau oder Weiß, oder eine andere Farbe, und dann mit der Kohle die Zeichnung darauf gebracht. Dann war das Eis gebrochen. Dann kam es. Das ist, wie wenn man das erste Wort ausspricht, einem das ganze Gedicht in den Sinn kommt. Die Kohle kannst du wegwischen und es entsteht eine malerische, geschichtete Zeichnung. Aber das war gar nicht meine Absicht. Das war ein Resultat. Das ist eigentlich zeichnerisch malen. Es entstanden überlagerte Zeichnungen. Aber nach Jahren kam die Sehnsucht nach Einfachheit auf. Ich habe angefangen zu reduzieren, und plötzlich war die Kohle weg. Ich hatte keine Lust mehr etwas mit Kohle zu machen. Seltsam, diese emotionale Geschichte mit der Technik. Technik ist nicht nur Selbstwert. Technik hat auch eine Bedeutung oder eine Aussage. Sie ist nicht nur Mittel zum Zweck. Sie hat auch eine Aussage. Sie kann selber auch Mitteilung sein, da bin ich überzeugt. Und dann habe ich angefangen mit diesen Plastik-Fläschchen zu zeichnen.

Direkt auf die Leinwand?

Direkt. Ich habe meine angemischten Farben in diese Fläschchen abgefüllt. Damit kann ich ununterbrochene Striche ziehen. Zusätzlich stehen sie reliefartig auf der Leinwand. Aber der Strich muss sitzen. Gut, ich habe inzwischen lang genug gezeichnet, dass ich eine gewisse Sicherheit im Strich habe. Neuerdings ist wieder Bleistift dazu gekommen.

Entstehen die Sachen ganz spontan oder überlegst du dir vorher, was du machen möchtest?

Das ist eine Mischung. Bei diesem Bild habe ich gewusst, dass ich drei oder vier Systeme übereinander lagern will. Das war die Grundidee. Gut, dieses Bild hat einen Vorgänger. Das erste ist sehr spontan entstanden. Das ist bei mir immer so. Das erste Bild, das neue entsteht meist sehr spontan. Das rutscht mir einfach raus. Das war eben Schwarz auf Schwarz, so eine Struktur, ein Gewebe. Dann habe ich ein anderes Netz darüber gelegt und es war fertig, obwohl ich dachte, es ist erst der Anfang eines Bildes. Ich habe gestaunt, was ich da gemacht habe und fand es in der Einfachheit faszinierend. Auch die Idee, dass ich Schwarz auf Schwarz... Natürlich bin ich nicht der erste, der Ton in Ton oder Schwarz auf Schwarz malt. Aber in der Art vielleicht, mit dem Netz, da kenn ich niemanden, der so arbeitet. Beziehung ist für mich ein Thema geworden. Beziehung zueinander, Beziehungen jeder Art. Das sind Ergebnisse aus meiner Selbstreflexion in London. Da habe ich sehr viel drüber nachgedacht. Dort habe ich angefangen Soziogramme zu zeichnen, Geschichten aus meinem Leben, Stationen, Lebenswege, Haltestationen... und da kamen eben diese Netze, Wege und Verknüpfungen heraus dabei. Es ist auch interessant, was du gesagt hast, dass man die Motive, Formen, die man hat, unbedingt rüber bringen muss. Man findet ja nur jene Formen interessant, die eine Affinität in einem selber haben. Ich bin, du ja wahrscheinlich auch, dauernd auf der Suche nach Formen und Motiven. Man geht am Tag an fünfhundert oder tausend Formen vorbei, ohne dass sie in dir etwas auslösen. Und plötzlich ein Riss in der Wand oder ein Riss im Asphalt und du weißt: Das ist es, genau das ist es. In Italien lief ich übers Land. Eine Säge stand an der Wand. Sie wurde sofort in mein Zeichenrepertoire aufgenommen. Und sie ist heute noch drin. Oder das da z.B. ist ein Produkt eines Museumsbesuches, des Apothekermuseums in Heidelberg: eine Destillations-Spirale aus einem alchemistischen Labor. Ich habe mich sehr mit Symbolen und archetypischen Zeichen beschäftigt. Ich habe bei C.G. Jung von den Archetypen und Lebenssymbole gelesen. Jung ist bedeutend für meine Arbeit, fürs Bildnerische. Der hat sich ausgiebig mit der Alchemie befasst, auf der Suche nach Zeichen des Lebenssinnes, des Grals.

Kann man sagen, dass diese Notwendigkeit bestimmte Motive nach außen zu bringen, Abbildungen eigener Probleme sind?

Eindeutig. Das spüre ich eindeutig so. Am Anfang war das für mich der Spiegel, in dem man sich erkennen will, die Selbstbefragung. Und ich musste das, was ich in mir hatte, ausdrücken können, um es los zu werden. Loswerden heißt irgendwie rauslassen. Und wohin soll man das denn ablassen? Man kann abtanzen. Man kann reden mit jemandem. Man kann es aber auch als Bilder rauslassen. Aber die Bilder sind natürlich immer noch voller Geheimnisse. Sie fassen das Ding, was raus will als Ganzes vielleicht, ohne es klar zu benennen. Und das ist die Qualität von Bildern. Sie sind ganzheitlich. Man sieht sie auch ganzheitlich. Es ist kein Zeitablauf, sondern sie stehen da, fertig, in sich geschlossen.

Kannst du das klar erkennen, wenn dir ein Bild gelingt? Kannst du unterscheiden zwischen guten und schlechten Bildern?

Ja, eindeutig. Ich habe einen ziemlich sicheren Blick entwickelt. Wenn ich ehrlich zu mir bin, weiß ich es genau. Ich habe mich auch schon ein paar mal betrogen, gegen mein Gefühl und meine Ahnung. Aber nach einem gewissen Zeitabstand musste ich mir dann doch eingestehen, dass das Bild nicht gut genug ist. Es ist eine Art Therapie für mich. Es ist eine Notwendigkeit zu malen. Das tut und tat mir gut. Ich habe jedes Mal ein bisschen Frieden gefunden. Früher konnte es ein Gekotze sein, das unvermittelt und dringlich raus musste, Hauptsache Problem raus. Später, als ich mich ein bisschen beruhigt hatte, reichte mir diese Spontaneität nicht mehr. Ich wollte meine Themen in eine allgemeingültige Form bringen. Und dort kam mir die Erkenntnis, dass nicht nur ich diese Probleme oder Themen habe, sondern dass das mit wenigen individuellen Ausnahmen, Allgemeingut ist. Da hatte ich die Einsicht, dass es auf der Welt vielleicht zehn Themenkreise gibt: Liebe, Hoffnung, Angst, Tod usw. . Es ist der Stoff, aus dem jeder Kriminalroman, Film, jedes Buch und Bild gemacht ist. Jeder Autor löst sie und zeigt sie anders, eben persönlich, aber das Grundthema ist dasselbe. Ich arbeite heute darauf hin, nicht mehr mich mit meiner eigenen Seele zu offenbaren. Ich möchte allgemeingültige Lebenszeichen schaffen. Die dich und mich betreffen. Ich möchte dir auch ermöglichen, meine Bilder betrachten zu können, ohne dass du das Kotzen kriegst.

Gibt es Leute, die mit deinen Bildern nichts anfangen können?

Ja, klar. Es gibt aber auch Leute, die weit reisen, um sie zu sehen. Es gibt beides. Und das gefällt mir. Heute verkrafte ich, dass man sagt: „Damit kann ich gar nichts anfangen“. Früher hat mir das weh getan. Das heißt, ich habe etwas verwechselt. Ich dachte, die haben etwas gegen mich. Ich habe es persönlich aufgefasst. Es wäre komisch, wenn es allen gefallen würde. Das wäre eigentlich ein schlechtes Zeichen. Das würde für mich bedeuten, dass die Bilder keinen eigenen Standpunkt hätten, nur ästhetisch beurteilt würden.

In gewisser Hinsicht sind doch deine Bilder ästhetisch.

Natürlich. Sie sind es. Weißt du, ich will nicht nur ein thematisches Bild malen. Ich will auch ein gutes Bild malen, das von der Form her einen eigenen Wert hat, ein eigenes Leben hat. Und jede Kunst, auch "hässliche" , hat ihre Ästhetik. Beuys machte im Prinzip unästhetische Arbeiten mit wertlosen, primitiven Materialien. Aber auch die findet man nach einer gewissen Zeit interessant und interessanterweise sogar sehr schön. Die Hässlichkeit hat auch ihre ästhetische Seite. Und "schön" ist ohnehin ein relativer Begriff. Es ist alles relativ. Es gibt Trends, die man irgendwann mal akzeptiert und dann sogar gut und schön findet. Ich weiß. Früher hatte ich Schwierigkeiten, wenn ich dachte, es ist ein schönes Bild. Dann dachte ich, alles ist Ästhetik, alles hat eine Erscheinungsform. Ich finde, es ist ein Trugschluss zu denken, dass etwas Schönes automatisch oberflächlich ist. Und je einfacher die Bilder werden, desto ästhetischer werden sie. Das liegt an der Einfachheit.

Was hältst du von der konzeptuellen Kunst?


Ich finde sie völlig legitim.

Hast du deine Vorbilder? Künstler, die dich besonders beeindruckt haben?

Ja. Also, James Brown, ein Amerikaner, hat mich lange beeinflusst. Er hatte damals afrikanische Kunst in seinen Werken verarbeitet. Heute ist er einfacher geworden, aber auf ein Art, die mir nicht mehr gefällt. Auf einer Messe habe ich etwas Neues von ihm gesehen, das ist für mich eine belanglose Abstraktion geworden. Ich hoffe, dass meine Betrachter das bei meinen eigenen Arbeiten nicht so empfinden. Von den deutschen Künstlern, die mich beeindruckt haben, ist es Sigmar Polke. Er ist einer der wenigen Deutschen, der etwas Selbstironie in seinen Bildern hat. Z.B. Immendorf, dessen politische Kunst kotzt mich an. Politische Kunst ist gezwungenermassen immer engagiert. Da ist für mich zu viel direkte Mitteilung und zu wenig "Kunst" drin, d.h. zu wenig Geheimnis. Und zudem ist sie oft schlecht gemalt und langweilig, so verbissen, deutsch, intellektuell und stur. Baselitz finde ich einen guten Maler. Rosmarie Trockel finde ich eine innovative Frau. Obwohl ich mit ihr nichts zu tun habe mit meiner Art Kunst, schätze ich ihre Kunst sehr. Bei ihr finde ich viele neue, unerwartete Ideen. Was hältst du von Gerhard Richter? Sehr viel. Ich finde, er ist so ein Typ, der sich nie gescheut hat, Stile zu wechseln. Und er hat immer brutal weiter gemacht, so wie es ihm gepasst hat. Das ist auch interessant. In deinen Bildern sieht man eine gewisse Kontinuität. Ganz genau. Ich mache ganz das Gegenteil. Es ist eine Kontinuität in der Entwicklung. Ich mache keine grossen Sprünge. Jetzt bin ich am vereinfachen, aber man erkennt mich von damals bis heute wieder. Richter hat Brüche drin, dass man denkt, das es zwölf verschiedene Künstler seien. Aber ich für mich bin der Meinung, solange ein Symbol aussagekräftig und wichtig ist für mich, verwende ich es. Dann ist es für mich gültig. Wenn es hohl wird, dann verschwindet es automatisch. Dann vergesse ich es.

Wie lange arbeitest du an einem Bild?

Drei Tage, zwei Wochen.

In deinen Bildern habe ich keine Menschen gesehen.

Früher gab es Menschen auf meinen Bildern. In meiner Anfangszeit in Berlin, habe ich Menschen, Menschen, Menschen gezeichnet. Das war für mich ganz wichtig. Ich habe an der Hochschule den Aktkurs belegt, wirklich eifrig. Ich habe sogar das Aktgeld der Klasse verbraten. Jede Klasse hatte eine Summe zur Verfügung, mit der man Modelle anheuern konnte. Das war damals gar nicht in "Mode". Ich habe das ganze Akt-Geld der Klasse gekriegt. Ich habe Modelle geholt aus der Disko, von der Straße. Du hast sie ausgesucht? Mit meiner Plastiktüte und Stiften bin ich den „Dschungel“ gegangen. Ich weiß nicht, ob du den „Dschungel“ noch kennst? Das war die In-Disko damals. Und in die „Metropol-Disko“. Das hat mich einfach fasziniert. Ich habe die Leute an Ort und Stelle porträtiert. Später habe ich sie auch in die Schule mitgenommen. Plötzlich fanden die Kommilitonen, dass sie daran auch teilnehmen möchten. Und da habe ich die Modelle einfach in die Klasse mitgenommen. Aber das Interesse daran ging rasch verloren. Bei mir interessanterweise nach einer Weile auch. Das ist so was Typisches. "Es" war quasi über Nacht einfach weg. Ich bin in den Wedding umgezogen, in dieses Atelier. Gegenüber hat ein Punkerpaar gewohnt, das mich interessiert hat. Ich habe sie gefragt, ob sie mir Modell sitzen wollen. Ich habe sie gezeichnet. Die zweite Sitzung war schon ausgemacht und ich wusste plötzlich, es geht nicht mehr weiter. Ich habe den Stift weggelegt, so, Schluss mit Figuration.

Kannst du dir das erklären?


Nein. Ich denke, ich habe mich einfach satt gezeichnet. Das hat sich erledigt. Gut, die Figur blieb noch weiter in den Bildern, aber nur noch als Profil, als Umriss, als einfache Zeichnung. Diese Profile haben mich lange begleitet und sind kürzlich wieder aufgetaucht. Der Hund war auch ein sehr wichtiges Thema für mich, am Anfang. Der wurde dann zum Wolf, und ist dann auch verschwunden. Es wäre interessant zu beobachten, wie etwas kommt und etwas geht, in welchen Lebens-Situationen. Am Anfang war ich sehr figurativ, dann fing ich an zu vereinfachen. Und damit verschwand die Figuration. Es wurde alles grafischer. Ich bin eben kein echter Maler, ich meine im Sinne von "peinture".

Wo kommt das her? Aus dem Bauch, aus dem Kopf? Oder sind das die Formen, die du auf der Straße zufällig getroffen hast?

Diese Formen springen mich nur an, weil schon etwas davon in meinem Kopf ist, das darauf wartet, dass ich es auch draußen als Gegenstand erkenne. Das ist wie ein Raster. Plötzlich stimmt etwas und dann schnappt es ein. Jemand hat mir z.B. ein Labyrinthbuch geschenkt. Das war ein Volltreffer. Das Thema lässt mich heute noch nicht los.

Hast du irgendwann Stilleben gemalt?

Ja, ich habe eine zeitlang Tulpen und Vasen gezeichnet. Stilleben machen mich heute noch an. Das kommt vielleicht noch verstärkter wieder. Es ist etwas, das mich fasziniert. Die Kompositionen, die Art wie und etwas zusammengestellt ist, bedeutet ja immer etwas. Die großen Stilllebenmaler haben ganz genau gewusst, was sie malen. Da hat jede Blume eine Symbolfunktion gehabt. Es gab aber natürlich auch einen vorgegebenen Bedeutungskodex, ohne viel Deutungsfreiheit. Um zu verstehen, musste man als Betrachter viel Vorwissen mitbringen und sensibilisiert sein für Symbole. Einer, der das nicht hat, sieht nur die Ansammlung von Gegenständen, die vielleicht hübsch ist und gut gemalt.

Du hast auch gesagt, dass du geschrieben hast. Wolltest du Schriftsteller werden? Schreibst du noch?

Wieder ein bisschen mehr, aber zweckgebunden. In dem Buch über mich, habe ich über mich, meine Geschichte geschrieben. Es macht Spaß. Irgendwo habe ich das Gefühl, ich sollte wieder. Verreist du gern? Ich mag Reisen, ja. Ich bin aber eher ein ansässiger Typ. Ich bin kein Nomade. Ich fliege gern aus, komme aber auch gern zurück. Ich brauche mein Nest.

Das war sehr interessant, was du alles erzählst hast. Vielen Dank für das Gespräch.